Grundstein des WK X wiederentdeckt


von Tageblatt-Redaktion

Die Schatulle aus dem Grundstein des WK X trägt auf dem Gürtel die Inschrift 9. April 1986, das Datum der Grundsteinlegung.
Die Schatulle aus dem Grundstein des WK X trägt auf dem Gürtel die Inschrift 9. April 1986, das Datum der Grundsteinlegung.

Normalerweise wäre das grünlich schimmernde Rohr wohl niemandem aufgefallen. Doch der Baggerfahrer der Firma Metzner, die die Erich-Kästner-Grundschule im Hoyerswerdaer WK X abgerissen hat und nun den Schutt entsorgt, war aufmerksam. Er hatte gestern Vormittag gerade einen Betonbrocken aus dem ehemaligen Fundament herausgehoben, in das ein Steinzeugrohr eingelassen war.

Und genau darin befand sich das kleine grüne Rohr, das sich auf den zweiten Blick als Schatulle entpuppte. Was der Mann in dem Moment nicht ahnte. Er hatte unter dem Süd-Ost-Giebel nicht nur den Grundstein der Schule gefunden, sondern den für das ganze Wohngebiet – fast genau 25 Jahre, nachdem er eingelassen worden war. Eine kleine Sensation. Denn in den vergangenen zwölf Jahren, seitdem in der Hoyerswerdaer Neustadt Häuser abgerissen werden, wurde noch nie eine solche Schatulle geborgen.

Der Finder rief sofort seinen Schwiegervater Klaus Richter an, der einst als Architekt im Aufbaustab für die Neustadt mitgewirkt hatte. Der eilte hinaus in die Kollwitz-Straße und nahm am Rand der Baugrube die Schatulle entgegen. Über das Datum der Grundsteinlegung musste man nicht lange recherchieren – die Schatulle ist von einem Gürtel umschlossen, auf dem eingraviert steht: 9. April 1986. Drinnen klimperte es. Man hörte am Klang, dass es sich nicht um Aluminium-Geld handelt. Aus einem Riss konnte man das grünliche Wasser aus der Schatulle herausgießen. Das Gefäß wurde beim Abbruch beschädigt. Wasser war eingedrungen. So etwas passiert nun mal.

Wie sich eine halbe Stunde später im Stadtmuseum herausstellte, sind die in der Schatulle eingelassenen Dokumente vom Wasser beschädigt worden. Das Papier pappt zusammen. Museumsleiter Andreas W. Vetter und seine Stellvertreterin Elke Roschmann sind von dem Fund dennoch hellauf begeistert. Von der Lausitzer Rundschau, Ausgabe vom Tag der Grundsteinlegung, gibt es noch erhaltene Exemplare im Archiv. Darüber machen sich die Museumsleute keine Sorgen. Doch das andere Schriftstück umfasst mehrere A4-Blätter, maschinebeschrieben, mit Verpflichtungen des VEB Wohnungsbaukombinats Cottbus (WBK).

Das Titelblatt verrät, dass im WK X im Zeitraum 1986 bis 1989 im ersten Bauabschnitt 1 287 Wohnungen in der Wohnungsbauserie 70 errichtet werden sollen, dazu eine Schule, eine Sporthalle, eine Kinderkombination, Kaufhalle, Gaststätte, Jugendclub. So unverhofft, wie die Schatulle auf dem Tisch im Museum gelandet war, so schnell wurde nach einer Lösung gesucht, dieses Papier zu retten. Und was so metallisch in der Schatulle geklimpert hat, das sind ein 10-Mark-Stück, geprägt aus Anlass des 100. Geburtstages von Ernst Thälmann am 16. April 1986 und eine Medaille zum 11. SED-Parteitag. Der fand vom 17. bis 21. April 1986 im Palast der Republik in Berlin statt.

Von dem ahnte keiner, dass es der letzte reguläre Parteitag der sozialistischen Einheitspartei werden sollte. Man wusste auch nicht, dass der Wohnkomplex X schon nach dem ersten Bauabschnitt fertig sein würde oder dass die Schule, 1987 als 24. Polytechnische Oberschule „Fritz Selbmann“ übergeben, wenige Jahre später den Namen Erich Kästner tragen würde. 2009 wurde sie geschlossen, anschließend noch als Ausweichquartier für die Kopernikus-Schule genutzt. Vor wenigen Wochen rückten nun die Abrissbagger an.

Winfried Pogoda, der damals vor Ort den Tiefbau leitete, entnimmt seinen Unterlagen, dass im Januar 1986 die Fundamente für die Umformerstation des WK X gegossen wurden, ab 12. März die für den ersten Wohnblock und wenige Tage später die für das Schulgebäude. So wie Klaus Richter weiß er, dass Grundsteinschatullen zu Zeiten des industriellen Wohnungsbaus in Hoyerswerda recht selten waren.

Wolfgang Junker, Minister für Bauwesen in der DDR, hatte den Grundstein für das „Neubaugebiet Hoyerswerda-Seidewinkel“ am 9. April 1986 eingelassen, nachdem er dem WBK das Ehrenbanner des SED-Zentralkomitees überbracht hatte. Elvira Lätsch vom Kulturbund Hoyerswerda weiß, dass direkt neben der Schule der erste Wohnblock des WK gebaut wurde: die Otto-Nagel-Straße 2-6 mit 55 Wohnungen. Die LebensRäume-Genossenschaft ließ ihn 2010 abreißen. Jetzt folgt ihm die Schule.

Die Schatulle, so ergab ein Anruf bei Metallgestalter Manfred Vollmert, war eindeutig eine Arbeit der Kunsthandwerklichen Produktionsgenossenschaft „neue form“ Seidewinkel. Im Museum denkt man, dass sie später einmal samt Inhalt einen Platz in der ständigen Ausstellung bekommen wird. 



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