Gar nicht verschlossen


von Tageblatt-Redaktion

Alle im Business-Kostüm - In der Ausstattung nimmt Das Frühlingsopfer gedankliche Anleihen bei Metropolis oder Chaplins Moderne Zeiten.
Alle im Business-Kostüm - In der Ausstattung nimmt Das Frühlingsopfer gedankliche Anleihen bei Metropolis oder Chaplins Moderne Zeiten.

Von Mirko Kolodziej

Hamsterrad. Wieder und wieder sagt die junge Frau auf dem Computer-Monitor dieses Wort: „Hamsterrad.“ Vor dem Bildschirm sitzen Olaf Winkler und Dirk Lienig. Die beiden sind damit beschäftigt, die drei Filmblöcke zum fünften Hoyerswerdaer Projekt „Eine Stadt tanzt“ zusammenzuschneiden. Dirk Lienigs KulturFabrik-Tanz-Compagnie wird in wenigen Tagen in der zweiten Etage des früheren Warenhauses am Lausitzer Platz zu Igor Strawinskys Ballettmusik „Le sacre du Printemps“ tanzen. Zu Deutsch heißt der Titel „Das Frühlingsopfer“. Schon seit einigen Tagen wird der Auftrittsort vorbereitet. Im ehemaligen „Centrum“ zusammenfinden sollen Musik, Tanztheater, Film und Philosophie.

„Hamsterrad“, sagt die junge Frau auf dem Bildschirm wieder. Lienig und Winkler haben aus umfangreichem Film-Material auszuwählen, es zu kombinieren, Bild und Ton aufeinander abzustimmen. Filme zu schneiden ist anstrengend. Dabei sieht man jede einzelne Sequenz wieder und wieder. Olaf Winkler und sein Kompagnon Dirk Heth haben das Tanzprojekt seit Anfang der Proben im Januar filmisch begleitet. Sie waren an den Probenorten, haben zahllose Tänzer vor der Kamera befragt und waren sie bei ihrer Arbeit besuchen. Denn das ist das Thema des Hoyerswerdaer „Frühlingsopfers“: Wie viel Lebenszeit muss man vermarkten, um damit ausreichend Geld zu verdienen? Was ist dabei ausreichend? Was wird dabei aus Träumen und Wünschen? Und muss das so sein?

Dirk Heth und Olaf Winkler haben die moderne Arbeitswelt schon in ihrem Dokumentarfilm „Der große Irrtum“ beleuchtet. Es geht um Bürgerarbeit und um den „Marktwert“, den ein Mensch auf dem „Arbeitsmarkt“ hat. Der Streifen ist in Hoyerswerda mehrfach gezeigt worden. Jede Aufführung ließ ein nachdenkliches Publikum zurück. Nun also wollen Dirk Lienig, Dirk Heth und Olaf Winkler den waghalsigen Versuch unternehmen, die Freude der Tänzer an ihrem Hobby mit der düsteren Frage zu vereinen, ob das gegenwärtige ökonomisch-gesellschaftliche System eine Vielzahl von Menschen nicht verbiegt oder gar bricht. Olaf Winkler sagt, er habe keine Ahnung, ob das funktionieren werde. Aber immerhin haben die Tänzer schon 2010 beim ersten Projekt das Publikum mit ihrem Stück zur Schrumpfung Hoyerswerdas zu Applaus-Stürmen veranlasst und teilweise sogar zu Tränen gerührt.

Heth, Lienig, Winkler und Choreografin Judith Gamm haben sich allerdings nach den zahllosen Gesprächen mit den Tänzern schon von einer allzu strengen Übersetzung des „Frühlingsopfers“ in die Jetztzeit verabschieden müssen. Die Arbeitsthese war, dass ein jeder ein Gutteil seiner Lebenszeit opfert, um die Ideologie des ökonomischen Wachstums zu stützen. „Der Gedanke ist von den Tänzern aber so nicht angenommen worden“, sagt Olaf Winkler. Er sieht es so: Das Umwerten von Schwierigkeiten in Chancen sei unverwüstlich. Es klingt ein bisschen nach: Ohne Hoffnung kann der Mensch nicht leben. Die drei Dramaturgen des Stücks finden das in Ordnung. Die Ursprungsthese wird nun also als Frage formuliert werden.

Denn immerhin haben die letzten Monate eines gezeigt: Nicht nur die junge Frau vom Monitor hat die „Hamsterrad“-Erfahrung gemacht. Und viele der Tänzer hegen Zweifel an den gegenwärtigen Strukturen. Olaf Winkler findet das interessant: „Das sind Leute aus der gesellschaftlichen Mitte. Und wenn die befürchten, dass wir die Gesellschaft gegen den Baum fahren, ist das schon beachtlich.“ Das gilt auch für die Bereitschaft von 70 Menschen zwischen 7 und 72 Jahren, sich mit solchen Fragen in ihrer knappen Freizeit überhaupt auseinanderzusetzen. Und so sagt Olaf Winkler, am meisten überrascht habe ihn die Offenheit der Protagonisten. Auch viele andere scheinen daran Interesse zu haben. Die Premiere von „Le sacre du Printemps“ war jedenfalls relativ rasch ausverkauft.

Aufführungen am 13. Juni um 20 Uhr, am 14. Juni um 16 und 20 Uhr sowie am 15. Juni um 16 und 19 Uhr.



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