„Niehau“ Lausitz – die Zeißiger Tänzer sind zurück aus Shanghai


von Tageblatt-Redaktion

So sehen charmante Sieger aus! Die Zeißiger Volkstänzer freuten sich über ihren gelungenen Auftritt beim International Folk Sports Festival, der ihnen den Preis für Charme einbrachte. Glückwunsch!
So sehen charmante Sieger aus! Die Zeißiger Volkstänzer freuten sich über ihren gelungenen Auftritt beim International Folk Sports Festival, der ihnen den Preis für Charme einbrachte. Glückwunsch!

Für kurze sieben Tage waren 20 Mitglieder der Sorbischen Volkstanzgruppe Zeißig in Shanghai unterwegs. Sie lernten das chinesische Wort „Niehau“ für „Guten Tag“, freundeten sich mit Stäbchen an, holten sich beim internationalen Folkloretanzfestival einen Preis für ihren Charme, lernten Tänzerinnen und Tänzer aus aller Herren Länder kennen, bekamen einen Einblick in das pulsierende Leben der quirligen 15-Millionen-Metropole, staunten über Ausmaße und Art der Entwicklung der Stadt, stellten ihre Dolmetscherin und das Organisationsteam vor einige Herausforderungen und überlegen, was als Nächstes kommt. Ein Reisebericht aus einer fernen, fremden Welt.
Das Festival: Shanghai knüpft an Expo-Stimmung an
Wer hätte zu Jahresbeginn gedacht, dass Tänzerinnen und Tänzer aus der Sorbischen Volkstanzgruppe Zeißig nur gut ein Jahr nach der Reise zu den Sorbennachfahren im texanischen Serbin schon wieder um die halbe Welt reisen? Sie selbst wohl kaum. Und doch machten sich an einem Montagvormittag Mitte Oktober 20 Frauen und Männer auf den 12 200 Kilometer langen Weg nach Shanghai zum zweiten „International Folk Sports Festival“. Dazu eingeladen hatte die Stadt Shanghai, unterstützt von Sponsor Telekom und verschiedenen Fernseh- und Rundfunksendern sowie Zeitungsverlagen aus der chinesischen Region Shanghai. Zwei Jahre zuvor hatte es zum ersten Mal das Festival gegeben, damals aus Anlass der Weltausstellung Expo, für die Shanghai Gastgeber war. Der große Unterschied zu dem Event 2010: Dieses Mal waren unter den 300 Teilnehmern auch 20 Sorben aus der Lausitz. Die Einladung war übrigens eine großzügige: Die Kosten für das Hotel und die Verpflegung, den Transfer zu den fünf Shows an den Auftrittsorten in der Stadt sowie zwei Ausflüge zu Sehenswürdigkeiten in Shanghai übernahmen die Gastgeber.
Der internationale Wettbewerb: Zeißiger sind die Besten
„Am besten erzählen wir gar nicht erst, dass es beim Festival in Shanghai auch einen Wettbewerb gibt“, meinten einige nach dem Generalprobensonntag in Zeißig. Denn dabei lief einiges schief. Unklar war bis kurz vor dem Start, ob es mit den Visa klappen würde, nachdem zuerst Business-Visa statt Touristen-Visa beantragt worden waren. Schockierend für alle, dass sich die Choreographin und künstlerische Leiterin der Tanzgruppe Helga Hansch so verletzte, dass sie die Reise nicht mit antreten konnte. Mit dem nötigen Quäntchen Aberglauben musste also eigentlich alles klappen in Shanghais Vorzeigestadtteil Pudong.
War es die lange Anreise von Hoyerswerda in den Osten des Riesenreichs China, die Nervosität vor dem Wettbewerb, die ungewohnte Bühne, das Fehlen der Trainerin? Von allem etwas kam wohl zusammen. Und trotz mehrerer Probedurchläufe am Fuße des Shanghaier Wahrzeichens, des Fernsehturms „Oriental Pearl Tower“: Auch die Generalprobe vor Ort verließen alle unzufrieden. Im Hotel gab es dann einige Hinweise und auch kritische Worte. Vor allem aber eins: Kopf hoch! Dabei sein ist alles, das wäre zu wenig für die ZeißigerTänzerinnen und Tänzer. Mitreißend und fehlerfrei war ihr „Kehrauswalzer“ dann im entscheidenden Moment. Juroren sprangen von ihren Plätzen auf und applaudierten, das Publikum feierte die Gruppe. So kam es, wie es kommen musste: Mit dem Preis für Charme endete der Abend unter dem Fernsehturm. Andere Gruppen bekamen Pokale für ihre Kreativität, für die Kostüme, für die Performance. Als Charmanteste verließen die Sorben den Wettbewerbsort.
Die anderen Tänzer: Viele Profis und Ausgewanderte
Die Mitglieder der schwedischen, der ungarischen, der polnischen, der peruanischen und der irländischen Gruppen sind in dem gleichen Hotel untergebracht. So gibt es viele Kontakte, mehr als nur morgens, mittags und abends am Essensbuffet. Die Sorben sind etwas Besonderes. Sie tragen keine Kostüme, sondern ihre Tracht. Vieles, was die Frauen anziehen, stammt noch von Großmüttern oder Tanten und nicht aus der Schneiderwerkstatt. Auch die Art, alles traditionell mit Nadeln zu stecken, nur mit Haube, die Männer mit Hut aus dem Haus zu gehen, das ist zwar aufwändig, wird von den anderen aber auch anerkennend bestaunt. Als sie hören, dass morgens die Wecker gestellt werden, damit die Frauen genug Zeit finden, die Tracht anzulegen, gibt es viel Bewunderung bei den Tänzern aus den anderen Gruppen.
Das Festival bringt junge Leute, die in Tanzschulen beispielsweise irischen Stepptanz oder traditionelle chinesische Tänze trainieren oder zu einem Ensemble des Unternehmens Telekom gehören, zusammen. Polnische Tänze zeigt ein junges Ensemble aus Chicago. Mit einer Darbietung nach Klängen aus Peru tanzen sich Berliner in die Herzen der Zuschauer. Einige von ihnen sind in Peru geboren, andere schon in Berlin. Eine Tänzerin ist eine deutsche, so wie auch der Chef des Vereins. Sehr bunt und teilweise schrill, fröhlich und sehr professionell tanzen die Gruppen aus den chinesischen Regionen.
Die Stadt: Bestürzend schnell, groß und fremd
Vor der Weltausstellung Expo wurden in Shanghai zwei Millionen Menschen umgesiedelt. Ihre Wohnhäuser mussten weichen, damit Platz geschaffen werden konnte für neue Hochhäuser und Straßen. Die Stadt braucht Platz zum Weiterwachsen. In der Region Shanghai leben 25 Millionen Menschen, in der Kernstadt 15 Millionen. Weitere pendeln täglich hierher, nicht zu vergessen die Touristen. Vom Oriental Pearl Tower, dem zweithöchsten Gebäude der Stadt, sind die Dimensionen zu erahnen. Bis zum Horizont stehen Wolkenkratzer.
Die Stadt bietet aber auch noch erstaunlich viel Platz. Hinter mannshohen Zäumen werden alte Fabriken oder Wohnsiedlungen abgerissen. Baukräne drehen sich, wohin man schaut. In Richtung des supermodernen Flughafens Shanghai Pudong, er liegt 30 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, wird gebaut, was das Zeug hält. Hochhaus-Siedlungen, in denen die Bewohner mehrerer Lausitzer Dörfer gemeinsam Platz finden würden, wachsen in den Himmel. Aber trotzdem finden sich auch mitten in der City die alten Bauten, noch bewohnt und benutzt. „Unten hui, oben pfui“ möchte man sagen. Nur ein Beispiel: In der Fußgängerzone beim Tourismus-Center reihen sich Geschäfte an Geschäfte. Hebt man den Blick, sieht man direkt darüber blinde oder zerborstene Fensterscheiben. Wäsche hängt zum Trockenen an einem Gestell, Beweis dafür, dass hier Menschen ihr Zuhause haben.
Der Verkehr: Grüne Ampeln haben nicht viel zu bedeuten
„Also, den Glauben an grüne Ampeln und Fußgängerüberwege habe ich hier verloren“, sagt Wolfgang Finger nach dem ersten Ausflug jenseits von Bus und Bühne. Und dabei waren die Zeißiger nur auf der Suche nach Postkarten. Der kurze Ausreißer nach dem Tanz bei der Show bringt die eigentlich unerschütterliche Betreuerin der Lausitzer ins Schwitzen. Voller Tatendrang stürzen sie los, wenn die Fußgängerampel auf Grün schaltet. Doch Zebrastreifen und Grün haben hier eine andere Bedeutung als zu Hause. Denn unermüdlich fahren Autos, Lkw, Roller und Fahrradfahrer weiter. Immerhin hupen sie laut, wenn die andere Richtung Grün hat. Irgendwie quirlen alle auf den Straßen durcheinander. Alle Fußgänger hasten über die Straße. Die Zeißiger vertrauen auf unsere Schnelligkeit, Augen und Ohren eher als auf die Ampelanzeige. Der erste Unfall, den die Lausitzer erleben, ist aber eher unspektakulär. Eine junge Autofahrerin fährt in der Abbiegespur geradeaus und gegen den Bus. Zu Fuß eilt ein Polizist von der nächstgelegenen Ampelkreuzung heran. Er sieht sich alles an und schimpft dann lauthals los mit der Touran-Fahrerin. Die Lausitzer steigen um in einen anderen Bus, freuen sich aber, als sie „ihren Busfahrer“ beim Abendbrot bereits wiedersehen. Im chinesischen Fernsehen gibt es Sendungen, in denen Unfälle gezeigt werden. Da an jeder Kreuzung der Verkehr gefilmt wird, zeigt das Fernsehen Unfälle, bei denen Menschen überrollt werden, lautstark kommentiert. Die „Verkehrserziehung auf Chinesisch“ haben einige im Fernsehen gesehen. Doch nur einen Tag später wird die Gruppe Zeuge eines Unfalles, wie man ihn eigentlich permanent erwartet. Eine Frau sitzt weinend neben einer Blutlache mitten auf der Kreuzung, während ein Mann von Rettungskräften abtransportiert wird. Um die Frau, den Lkw und den zerstörten Roller scharen sich an die hundert Menschen. Drum herum suchen sich laut hupend Fahrzeuge ihren Weg, so wie der Bus, in dem die Zeißiger sitzen. Keine Absperrung von Feuerwehr oder Technischem Hilfswerk, zwei Polizisten versuchen, das Wirrwarr zu regeln. Um die Frau kümmert sich erst einmal niemand. Das Bild setzt sich in den Köpfen fest.
Die Pläne: Was die Zeißiger als Nächstes vorhaben
Kurz vor der Abreise zum Festival in Shanghai hatten die Zeißiger viele Proben und Auftritte, da sie in die Programme zum Domowina-Jubiläum eingebunden waren. Jetzt wollen sie es erst mal etwas ruhiger angehen lassen. Am 1. Dezember treten sie im Sorbischen Museum auf. Eine Weihnachtsfeier wird noch geplant. Einen Abend mit Bildern, einem Film und Berichten aus Shanghai werden die Tänzer vorbereiten. Aber erst müssen die vielen Videoaufnahmen und Fotos gesichtet, ausgewählt und zusammengestellt werden. „Wir werden wie nach den Texasreisen unsere Zeißiger und andere Interessierte und Fans dazu einladen“, sagt Tanzgruppenchefin Gabriela Linack. Sie bedankt sich ausdrücklich bei den Versorgungsbetrieben Hoyerswerda, die die Sorbische Volkstanzgruppe bei der Reise unterstützten.
Und welche Pläne haben die Zeißiger für das nächste Jahr? Noch keine konkreten, sagt Gabi Linack. Eine nächste große Reise könnte zu den Nachfahren ausgewanderter Sorben in Australien sein. Aber ob und wann, das ist noch nicht zu sagen. „Jedenfalls waren wir dort ja noch nicht“, sagt Vorstandsmitglied Heidi Forche.



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